Leichtigkeit

Ich wünschte, ich hätte sie angesprochen. Stattdessen bin ich dankbar für das, was sie in mir hinterlassen hat. Als würde ich sie einpacken, als eigenes kleines Werkzeug, und mit mir mitnehmen. Die entspannte Frau, die ich in meiner Kindheit nicht kannte. Mathilde sitzt jetzt in meinem Rucksack. Sorry, Mathilde. Du musst mit. (Marie Luise Ritter 2024, S. 208)

Leichtigkeit.

Es ist gar nicht so leicht, Leichtigkeit in einer Zeit voller Umbrüche zu finden. In einer Zeit des Neu-Ankommens, des Zu-Sich-Findens, des Zurechtfindens, des Ausprobierens. In einer Zeit, in der sich die Stunden vor dem Laptop immer mal wieder wie eine emotionale Achterbahnfahrt anfühlen.

Nach der Lesung von Luise gehe ich beinahe den ganzen Weg zu meinem neuen Zuhause zu Fuß. Mein Kopf ist voller Gedanken. Und gleichzeitig doch so leer und leicht. Leichtigkeit. In diesem Moment fühle ich es, während ich in der Dämmerung die Brücke über die Ihme überquere. Zu meiner Rechten sehe ich die Skyline des Ihme-Zentrums in der Nähe und die drei großen lila beleuchteten Schornsteine von enercity. Es ist ein lauer Sommerabend. Vorhin saßen überall Menschen, die redeten und lachten. Jetzt sind die Straßen leerer und viele gehen vermutlich wie ich nach Hause. Ich spüre Leichtigkeit, als ich mich endlich auf mein Rad setze und durch die Dunkelheit fahre. Leichtigkeit – auch jetzt im Licht der Sternchenlichterkette und neben einem schnarchenden Kater, der mich ein wenig mehr liebt als ich ihn.

Luise erzählt von dem Finden und Leben von Leichtigkeit in kleinen Alltagssituationen oder auch vor allem dann, wenn sie sehr weit weg erscheint. »Wie schaffst du es, deine Geschichten so unglaublich lebendig zu erzählen?«, frage ich sie. »Oh, danke«, erwidert sie und überlegt, »ich mache mir häufig Notizen. Währenddessen und hinterher. Und meistens vergeht gar nicht so viel Zeit bis ich die Erlebnisse aufschreibe.« Ich möchte auch gerne so schreiben können, denke ich und bin einfach fasziniert von ihrer Erzählkunst, die mich als Beobachterin in ihre Geschichten eintauchen lässt.

Etwas später sitze ich hier nun im gemütlichen Licht der Sternchenlichterkette und mache mir Notizen. Vor einigen Tagen habe ich mit einer Freundin über das Tagebuchschreiben gesprochen. »Ist doch schön, wenn das Leben einfach so vorbeizieht. Wenn du so im Strom des Lebens bist, dass du alles so intensiv wahrnimmst. Warum dann noch aufschreiben?«, sagte ich als Erklärung, weswegen ich schon viel zu lange keinen Stift mehr in die Hand genommen und meine Gedanken aufgeschrieben habe. Aber jetzt hat sich etwas verändert. Wie schön würde es sein, sich zu anderen, schwierigeren Zeiten an genau dieses Gefühl von Leichtigkeit zu erinnern?

»Ich möchte, dass mich etwas überlebt«, hörte oder las ich vor Kurzem. Jetzt gerade weiß ich nicht mehr, ob Luise diesen Satz in einer ihrer Geschichten geschrieben, heute erzählt hat oder es nur eine Repräsentation in mir von Elena Greco aus »Meine geniale Freundin« war. Ich weiß nicht, ob ich für mich so große Dinge erschaffen muss, die dann auch nach mir bestehen bleiben. Vielleicht reicht es aus, wenn mein Gegenwarts-Ich immer mal wieder mit meinem Vergangenheits-Ich in Verbindung tritt, wenn ich Erlebnisse anders einordne, umsortiere und weniger relevant finden darf. Wenn ich mich an kleine Momente wie diesen Abend, dieses oder jene Konzert oder Gespräch mit einer lieben Person zurückerinnere und im Nachhinein eine höhere Wichtigkeit zuspreche. Wenn ich mich an die Leichtigkeit in der Schwere erinnere.

Ich denke ich habe an diesem Abend Einiges mitgenommen. Ich habe mich gut und leicht und frei gefühlt. Wohl in meiner eigenen Gesellschaft. Luise, du bist meine Mathilde, die ich mir an diesem Abend neben der Leichtigkeit in den Rucksack gesteckt habe. Und ich möchte gut darauf aufpassen.

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